Titelbild: Vorstellung der Prototypenprojekte bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Mai 2024

Mittlerweile blicken wir als Projektteam auf mehr als eineinhalb Jahre intensive Projektarbeit seit den Anfängen des Antragsprozesses für das Reallabor zurück. In weniger als 6 Monaten endet bereits die aktuelle Förderphase, was für uns bedeutet, die gesponnenen Fäden langsam wieder zusammenzuführen und uns verstärkt der Reflexion unseres Tuns im bisherigen Projektzeitraum zu widmen. Damit unsere Erkenntnisse und Projektergebnisse nicht in irgendwelchen Akten verstauben, wollen wir diesen Blog nutzen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Einblicke in die Prozesse hinter den Kulissen zu gewähren.

Dabei soll die Kommunikation über diesen Blog keine Einbahnstraße sein: Wir laden euch Lesende herzlich ein, Kommentare unter den einzelnen Beiträgen zu verfassen oder euch mit eigenen Beitragsideen zum Reallabor oder zu den Entwicklungen und Potenzialen rund um Kooperatives Wirtschaften im Werra-Meißner-Kreis bei uns zu melden. So sollen verschiedenste Akteure aus Praxis, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik oder Verwaltung zu dieser Wissens- und Erfahrungssammlung beitragen können.

Bis Ende des Jahres werden wir monatlich 1-2 Artikel veröffentlichen und freuen uns auf zahlreiche Leser*innen und eine wachsende Community, die sich dem Aufbau gemeinschaftsgetragener Versorgungsstrukturen hier in Nordhessen und darüber hinaus widmen möchte.

Den Beginn unseres Blogs stellt ein kurzer Rückblick auf die wesentlichen Elemente, Aktivitäten und Highlights aus den vergangenen zwei Jahren dar. Viel Spaß beim Lesen!


Ein kurzer Rückblick auf zwei Jahre Reallabor

In Reallaboren werden Lösungansätze für den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft in einem experimentellen Setting ganz konkret erprobt. So haben auch wir unser Projekt von Anfang an als ein offenes Experiment betrachtet. Ohne ganz genau zu wissen, was uns auf dem Weg erwarten würde und was am Ende als Ergebnis feststehen würde, starteten wir zu Beginn mit einer Frage, die uns relevant erschien und der wir nachgehen wollten:  Wie können wir im Werra-Meißner-Kreis gemeinschaftsgetragene Versorgungsstrukturen aufbauen und weiterentwickeln?

Warum genau diese Frage wichtig für eine regionale Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation ist und welche Nachhaltigkeitspotenziale mit ihr verbunden sind, wollen wir an anderer Stelle nochmals vertiefen. Zudem soll die Frage, was genau wir unter dem Begriff Reallabor verstehen und wie sich dieses Verständnis in unserem Projekt wiederspiegelt, im nächsten Blog-Beitrag aufgegriffen werden.

Im vorliegenden Beitrag möchten wir vielmehr einen groben Überblick über die wesentlichen vergangenen und geplanten Bausteine und Projektaktivitäten geben, um euch ein Gefühl dafür zu vermitteln, an welchem Punkt unseres Prozesses wir uns momentan befinden. Diesen Prozess haben wir bewusst ergebnisoffen und partizipativ gestaltet und konzeptuell angelehnt an Designs anderer Reallabore. Ergebnisoffen bedeutet dabei nicht, dass man planlos vorgeht – in Gegenteil, ein gutes Design für den Prozess ist enorm wichtig – sondern, dass genug Flexibilität besteht, um auf Bedarfe einzugehen, die im Prozess entstehen. Denn oftmals ist es so, dass Projektakteure im Laufe des Beteiligungsprozesses derart viel über das System lernen, dass auf Grundlage dieser Lernerfahrungen ganz neue Ideen entstehen und umsetzbar werden.

Was ist aus unserem prozessorientierten Vorgehen bislang entstanden?

Die Grafik zeigt eine Übersicht unseres Prozess-Designs für den Gesamtverlauf des Projekts.

Als erster, größerer Kristallisationspunkt für solche Ideen fand im Juli 2023 die Zukunftskonferenz Kooperatives Wirtschaften im Kongresszentrum Bad Sooden Allendorf als öffentliche Veranstaltung statt. Dort kamen circa 100 Personen zusammen, um in unseren drei Handlungsfeldern – Wohnen, Energie und Ernährung – Kernherausforderungen zu identifizieren und Ideen für eine zukunftsfähige, regionale Grundversorgung hier im Landkreis zu entwickeln. Außerdem konnten sich bestehende oder sich gründende Initiativen auf die bald startende Prototypenbegleitung bewerben (ein ergänzender Blogartikel zur Prototypenbegleitung ist bereits in Planung). 

Im weiteren Projektverlauf organisierten wir Kooperationsveranstaltungen, die sich zum Teil aus den Bedarfen ergaben, die bei der Zukunftskonferenz ermittelt wurden. Beispielsweise wurde in einem Workshop zum Thema Ernährungsversorgung mehrfach die Idee genannt, einen Ernährungsrat zu gründen. Diese Idee haben wir aufgegriffen und zu einer entsprechenden Veranstaltung eingeladen.  In deren Folge haben inzwischen über zehn Treffen mit einem Kern von knapp 10 Personen stattgefunden, um eine Gründung anzugehen. Ein tolles Zwischenergebnis war eine Lange Tafel auf dem Markt in Witzenhausen Anfang Mai 2024.

Zwei weitere Veranstaltungsreihen in den Bereichen Energie und Wohnen entstanden aus Kooperationen zum einen mit dem Klimaschutzmanagement des Landkreises und zum anderen mit der Familienbildungsstätte und dem Fachbereich 6 (Soziales und Senioren) der Kreisverwaltung: eine Nahwärmereihe mit monatlichen Treffen wurde wieder ins Leben gerufen und anknüpfend an eine Auftaktveranstaltung zu gemeinschaftlichem Wohnen in Großalmerode haben drei weitere Informationsveranstaltungen zu diesem Thema stattgefunden mit der Aussicht, einen regelmäßigen Stammtisch zu gründen.

Ein gutes Beispiel dafür, was letztlich aus einem prozess- und bedarfsorientierten Vorgehen erwachsen kann, ist der entstandene Prototyp des Hofgut Weiden. Ein erstes Kennenlernen fand im Rahmen der Zukunftskonferenz statt. Durch Informationsveranstaltungen zu gemeinschaftlichem Wohnen sowie persönliche Gespräche wuchs die Bereitschaft der Inhaberfamilie, selbst eine Weiterentwicklung des Hofes anzustreben, bei der das Reallabor unterstützt (Kurzbeschreibungen aller aktuell von uns begleiteten Prototypen gibt es hier).

So und so ähnlich sind im bisherigen Projektverlauf einige Initiativen und Kooperationen entstanden, die wir im Vorfeld nicht hätten planen können. Ein Öffnen für die Perspektiven und Ideen vielfältiger Akteure, das Aufbauen auf dem, was bereits da ist, sowie die gemeinsame Gestaltung weiterer Schritte war uns ein wichtiges Anliegen, um dem übergeordneten Ziel, dem Aufbau gemeinschaftsgetragener Versorgungsstrukturen näher zu kommen.

Die angestoßenen Prozesse haben natürlich noch lange kein Ende gefunden. Aus den Prototypen sollen tragfähige und stabile Organisationen werden, für die wir auch weiterhin ein geeignete Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen schaffen möchten. Deshalb arbeiten wir aktuell daran, aufbauend auf den bisher geknüpften Beziehungen und gewonnenen Erkenntnissen bis zum Symposium am 28. September ein überzeugendes Zukunftskonzept zu entwerfen. Mit diesem wollen wir uns auf eine Folgeförderung bewerben, um somit hoffentlich für weitere drei Jahre soziale Innovationen für eine sozial-ökologische Transformation im Werra-Meißner-Kreis zu begleiten und Kooperatives Wirtschaften zu fördern. 

Highlights aus anderthalb Jahren Reallaborarbeit:

 „Im Februar 2023 sind wir mit allen Akteuren des Verbundkreises zu einem ersten Treffen zusammengekommen, in das wir gleich mit einer ungewöhnlichen Methode – dem „3-D-Mapping“ gestartet sind. Alle Verbundpartner:innen haben gemeinsam mit Hilfe von Gegenständen eine Art Landschaft der aktuellen Herausforderungen erstellt und anschließend eine gemeinsame Vision entwickelt. Es war ein aufregender Moment, so viele unterschiedliche Akteure aus der Kreisentwicklung, Wirtschaftsförderung, dem VfR, der Fuchsmühle, der Universität Kassel, der Bürgerenergiegenossenschaft WMK etc. in diesem gemeinsamen Prozess des Zuhörens und der Verständigung zu erleben und damit den Gundstein für eine fruchtbare Zusammenarbeit zu legen.“

Karin

„Mein Highlight war die Zukunftskonferenz im Juli 2023, auf der Träume und Visionen für die Zukunft der Region ihren Raum finden durften. Mich hat sowohl die Vielfalt von Zukunftsvorstellungen als auch das Einlassen so vieler Menschen auf einen kreativ-künstlerischen Raum beeindruckt. Nicht zuletzt war es mutmachend, am zweiten Tag die zahlreichen Ideen für prototypische Unternehmungen in einem Raum zu versammeln und zu merken, wie viele Menschen hier in der Region mit ihren Projekten einen Beitrag für eine sozial-ökologische Transformation leisten möchten.“

Simon

 „Mein Highlight war die Vorstellung der Prototypen-Ideen auf der Zukunftskonferenz. Ganze 19  Initiativen wurden auf einmal sichtbar – für das Publikum, aber auch untereinander. Für mich geradezu fühlbar, wie sich aus diesem Moment Synergien, Arbeitsbeziehungen und das so wichtige Gefühl, gemeinsam an etwas größerem dran zu sein hervorgingen.“

Niklas

„Ich bin tief berührt von dem Engagement und dem gemeinwohlorientierten Ideenreichtum so vieler Menschen und Aktivist*innen, die sich dafür einsetzen, dass ihre Ideen in realistischen Geschäftsmodellen einen positiven Beitrag für unsere Gesellschaft in der eigenen Region leisten können. Im Rahmen der Prototypenbegleitung hat es sich immer wieder gezeigt, wie hilfreich Dialoge und Momente der Evaluation sind. Dadurch konnten wir die Ideen im prototypenartigen Durchdenken und Durchspielen erproben, ob sie die Kraft haben, eine zukunftsfähige Organisation zu werden. In einigen Fällen haben wir schnell herausgefunden, dass es unrealistisch ist bzw. dass Ressourcen fehlen. Schnelles Scheitern ist auch eine Art von Erfolg. In anderen Fällen zeigte sich, dass Idee, Ressourcen und Marktumfeld kräftig genug sind, um den Prototypen aus dem Gewächshaus in das Feld umzusetzen.“

Matthias

„Mein Highlight war die Lange Tafel auf dem Marktplatz in Witzenhausen. Wir hatten das zu viert intensiv vorbereitet und ganz am Anfang den Rahmen gesteckt, wieviele Leute kommen sollen: in der Tat kamen am Ende genauso viele wie wir uns überlegt hatten, 80 Personen. Für mich war der Tag deshalb so schön, weil das Wetter stimmte, die Tische wunderschön dekoriert waren und der Ablauf wie wir uns ihn überlegt hatten mit Austauschrunden zwischen dem drei-Gänge-Menü aus regionalen Köstlichkeiten sehr gut aufgegangen ist. Mich beglückt es, zu sehen, wenn Menschen miteinander wesentliche Gespräche führen, die sich normalerweise nicht begegnen.“

Robin
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